„Ohne Schlamm kein Lotus”
- Thich Nhat Hanh
Wir alle wollen glücklich sein und nicht leiden – das ist der Grundantrieb unseres Lebens.
Alles, was wir tun, geschieht letztlich aus diesem Wunsch heraus. Dabei bewerten wir ständig: angenehm oder unangenehm, gut oder schlecht – oft, ohne es zu merken. Diese Bewertungen treiben unser Handeln an: Wir wollen mehr von dem, was wir als angenehm empfinden, und weniger von dem, was wir als unangenehm erleben. Die buddhistische Lehre benennt dieses Muster als Anhaftung und Abneigung.
Wir glauben, dass wir, um wirklich glücklich zu sein, nur noch ein wenig mehr von dem Angenehmen und etwas weniger von dem Unangenehmen brauchen. Doch genau hier liegt ein grundlegender Irrtum: Das Leben wird nie genauso verlaufen, wie wir es gerne hätten. Es ist einfach nicht so beschaffen.
Der Buddha beschreibt das Anhaften an das Angenehme und die Abneigung gegen das Unangenehme als Mechanismen, die uns leiden lassen und uns in unserem Leid gefangen halten.
Er verdeutlicht dies mit der Metapher der zwei Pfeile:
Wenn uns etwas Schwieriges oder Schmerzhaftes passiert, dann ist das, als wären wir von einem Pfeil getroffen worden. Das ist schmerzhaft, und das ist unvermeidbar.
Doch oft schießen wir selbst einen zweiten Pfeil hinterher, indem wir in Widerstand gehen: Wir ärgern uns, klagen oder hadern mit der Situation. Dieser zweite Pfeil fügt dem ursprünglichen Schmerz noch emotionales Leiden hinzu – und das ist nicht notwendig.
Ein - banales, aber durchaus anschauliches - Beispiel:
Wenn mir ein Buch auf den Fuß fällt, tut das weh. Das ist der erste Pfeil. Wenn ich mich jedoch auch noch darüber ärgere, dass mir das passiert ist, wird die Situation zusätzlich belastend.
Wenn ich stattdessen mit Gelassenheit darauf reagieren kann – nach dem Motto „Shit happens“ – werde ich weniger leiden. Der Fuß schmerzt zwar, aber ich füge dem körperlichen Schmerz keinen emotionalen Schmerz hinzu.
„Nicht das, was uns widerfährt,
lässt uns leiden, sondern das,
was wir uns über das Geschehene einreden.“
– Pema Chödrön
In der Achtsamkeitslehre heißt es, dass wir zwischen Schmerz und Leid unterscheiden können.
Schmerz – sei es durch Verluste, Niederlagen, Kummer, Krankheiten oder andere schwierige Umstände – gehört unvermeidbar zum Leben. Wenn wir diesem Schmerz jedoch Widerstand entgegensetzen, verstärkt sich das Leiden.
Das verdeutlicht die Formel: Leid = Schmerz × Widerstand
Leiden entsteht, wenn wir innerlich mit der Erfahrung in Widerstand gehen. Mit Achtsamkeit können wir diesen Widerstand auflösen und unser inneres Gleichgewicht bewahren.
Akzeptanz und Gleichmut
Eine der zentralen Haltungen in der Achtsamkeitspraxis ist Akzeptanz. Sie lädt uns ein, mit dem Fluss des Lebens in Einklang zu kommen. Freude und Leid, Lob und Tadel, Erfolg und Rückschritt – all diese Erfahrungen gehören untrennbar zum Leben.
Unsere Aufgabe ist es nicht, uns an das Angenehme zu klammern oder das Unangenehme von uns zu stoßen. Vielmehr geht es darum, eine Haltung des Gleichmuts zu kultivieren.
Mit Gleichmut können wir angenehme Erfahrungen genießen, ohne unseren inneren Frieden davon abhängig zu machen, dass sie bleiben. Gleichzeitig lernen wir, unangenehme Erfahrungen anzunehmen und sie als Möglichkeiten für Wachstum zu sehen.
Akzeptanz wird oft missverstanden, als sollten wir alles einfach hinnehmen. Doch Akzeptanz bedeutet nicht Gleichgültigkeit. Es geht nicht darum, unheilsames Verhalten und Ungerechtigkeiten zu akzeptieren und dagegen nichts zu unternehmen. Sie bedeutet, das Leben mit wachem Geist und offenem Herzen anzunehmen – und von hier aus weise zu handeln.
Die Metapher des Düngers
Unangenehme Erfahrungen können wir als Dünger für unser Wachstum sehen. Sie sind der nährende Boden, aus dem Mitgefühl, Weisheit und innere Stärke hervorgehen.
Die Geschichte vom Dung und den Blumen zeigt dies auf schöne Weise:
Ein Mann fand jeden Morgen vor seinem Haus einen Haufen Pferdemist. Zunächst ärgerte er sich darüber, doch dann begann er, den Mist in seinen Garten zu bringen und als Dünger zu verwenden. Mit der Zeit wuchsen dort die schönsten Blumen, zur Bewunderung aller Nachbarn.
Diese Geschichte erinnert uns daran, dass wir entscheiden können, wie wir mit Herausforderungen umgehen. Mit Achtsamkeit können wir unsere schwierigen Erfahrungen annehmen und sie kreativ nutzen, um zu wachsen.
Thich Nhat Hanh sagte dazu sinngemäß:
„Ohne Schlamm gibt es keine Lotusblüten.“
Der Lotus, eine der schönsten und reinsten Blumen, wächst nur, weil er im nährstoffreichen Schlamm wurzelt. Ohne den Schlamm gäbe es keinen Lotus. Genauso können wir lernen, unseren eigenen „Schlamm“ – unsere schwierigen Erfahrungen – anzunehmen und ihn als Boden für Wachstum und Einsicht zu nutzen.
Vielleicht magst du dich an eine herausfordernde Situation erinnern, die dich im Nachhinein hat wachsen lassen. Welche Stärke oder Einsicht konntest du daraus gewinnen? Oft sind es gerade diese Erfahrungen, die uns helfen, die Tiefe und Schönheit des Lebens besser zu verstehen.
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